„Wien bleibt Wien – das ist wohl das schlimmste, was man über diese Stadt sagen kann.“ – Ein Zitat von Alfred Polgar, über den Reich-Ranicki sagte: „Man müsste schreiben können wie Alfred Polgar, um Polgar zu beschreiben.“
Doch nicht nur der feingeschliffene Geist Polgars schäumt an diesem Abend in der „Wiener Melange“. Der Genuss einer „Wiener Melange“ ist ja im Grunde stets eine kleine Zeitreise – zurück ins Flair des „alten“ Wien und der kulturellen Melange, die sich hier im Fin de Siècle aus allen Ecken der Habsburger Monarchie sammelte.
Den Zauber der Donaumetropole erfasst wunderbar auch die Wiener Schriftstellerin Inge Merkel (1922-2006): „Es ist anzunehmen, dass Wien einmal eine Stadt gewesen ist wie andere Städte auch: Wohnsitz und Lebensschauplatz für die Menschen, die darin wohnen, geprägt und gestaltet von deren Wesensart. Zu irgendeinem Zeitpunkt aber muss eine heimliche Wandlung eingetreten sein, so dass sich die Verhältnisse ins Gegenteil verkehrten. In aller Stille wurde die Stadt zur Herrin, ja zur Zwingherrin ihrer Bewohner.“
Heimat des geistigen Kaffeesatzes war natürlich das Wiener Kaffeehaus. Dazu nochmals Alfred Polgar: „Im Kaffeehaus sitzen Leute, die allein sein wollen, dazu aber Gesellschaft brauchen.“ Oder: „Der bessere Mensch nützt die Energien seines äußeren Lebens, um für sein inneres Platz und Freiheit zu schaffen.“ Dieses kreative „gesellige Alleinsein“ hat nicht unwesentlich dazu beigetragen, uns jene Zeit in Erinnerung zu halten.
Wechselhaft und widersprüchlich war die Epoche zwischen 1890 und 1938, die mit der Blütezeit der Wiener Kaffeehausliteratur zusammenfiel. Zu deren Beginn vollzog sich der Untergang der Habsburger Monarchie – das bittere Ende setzte der Anschluss Österreichs an Deutschland. Aber nicht nur die politischen Ereignisse haben Österreich während dieser Jahre gebeutelt und geformt. Die Literatur, Architektur, Malerei und Musik der Freigeister der Kaffeehaus-Kultur berühren bis heute. Vielleicht weil sie mit Humor, Kritik und mutigem Widerstand keinem Zeitgeist hinterher hechelten. Weil in den Wiener, aber auch Berliner, Pariser, Prager Cafés in diesen Jahrzehnten politischer und gesellschaftlicher Umbrüche so etwas wie ein europäischer Austausch stattfand, von dessen Bereicherung wir heute träumen. Und den wir bei den geistigen (Ur-)Enkeln der damaligen Künstler zum Glück ab und an wiederfinden …
Zur Wiener Melange quer durch das 20. Jahrhundert lädt Publikumsliebling und Quotenkönig Harald Krassnitzer ein: Er liest Wiener G’schichten zum Nachdenken und Schmunzeln von Alfred Polgar und Zeit- wie Gesinnungsgenossen bis zu den aktuellen Wiener Melange-Spezialisten wie H. C. Artmann, Helmut Qualtinger oder Thomas Bernhard.
Die Lust am sprachlichen Florett-Spiel und die typisch wienerische Klangfarbe ist dem Österreicher und Wiener Wahlverwandten Krassnitzer in die Wiege gelegt: Kratzig-garstig-grantlig mit der nötigen Prise Hans-Moser-Nostalgie oder einem leisen Hauch von Melancholie präsentiert er die hintergründigen Texte der genannten Autoren. Gemeinsam mit dem Ensemble Hellbrunner Geigenmusi wird die Wiener Melange zu einer ungezuckerten Liebeserklärung an Wien.
Harald Krassnitzer, Rezitation
Hellbrunner Geigenmusi