Leo Tolstoi schildert in seiner Novelle „die Kreutzersonate“ eine Ehe, in der aufgrund der moralischen Ansichten des Mannes keine vertrauensvolle Partnerschaft entstehen kann. Anhaltendes gegenseitiges Misstrauen vergiftet die Lebensgemeinschaft. Und der krankhafte Argwohn des Ehemannes gipfelt in einem finalen Eifersuchtsanfall …….
Die Kreutzersonate von Leo N. Tolstoi
Die “Kreutzersonate”, eine der bekanntesten Erzählungen aus der Feder des russischen Dichters Leo N. Tolstoi, wurde im Jahr 1889 beendet. Die Handlung basiert auf einer Geschichte, die Tolstoi zwei Jahre zuvor von einem Schauspieler vernommen hatte: Ein Mann hatte aus Eifersucht seine Frau umgebracht. Ein früher Entwurf der Erzählung aus dem Jahre 1887 aber erfuhr in der endgültigen Fassung wesentliche Änderungen. Hier ist der Liebhaber der Ehefrau ein Violinvirtuose, und der Ehebruch geschieht unter dem Einfluß von Beethovens “Kreutzer-Sonate”, die man gemeinsam musizierte. Die Literaturwissenschaft geht davon aus, dass Tolstoi die Anregung zu diesem Motiv erhielt, da sein Sohn Sergej etwa zur gleichen Zeit mit dem Geiger Ljasota die Kreutzer-Sonate spielte. In einfacher Umgangssprache berichtet der Erzähler während einer Eisenbahnfahrt einem der Mitreisenden über sein Eheschicksal; seine Äußerungen über das Zusammenleben der Geschlechter, über das Weibliche im allgemeinen und insbesondere über seine Frau, die er ermordet hat, sind von brutaler Offenheit. Da es sich um ein Verbrechen ‚aus Leidenschaft’ handelte, hatte das Gericht ihm mildernde Umstände zugesprochen.
Daß die “Kreutzersonate” in der russischen Literaturgeschichte zu den umstrittensten Werken gehört, liegt weniger am Sujet als vielmehr an Tolstois frauenfeindlichen Haltung und seiner demonstrativen Asexualität, die er auch im Epilog zur Novelle (ein Jahr später, 1890, niedergeschrieben) betont: Im Sexus sieht er das größte Hindernis auf dem Weg zu (s)einem religiösen Ideal, in dem der Mensch allein in der Liebe zu Gott und zum Nächsten lebt. Nach Tolstois Moralgesetzen sollten Mann und Frau auch in der Ehe auf Geschlechtsverkehr verzichten, auf den Fortbestand der Menschheit lasse sich getrost verzichten: “Das Menschengeschlecht würde aufhören zu existieren? Gewiß, aber ist es denn möglich, dass irgend jemand, ganz gleich von welchem Standpunkt aus er die Welt betrachtet, jemals einen Zweifel daran gehegt hat? Natürlich, das ist ebenso unvermeidlich wie der Tod. Alle kirchlichen Lehren beruhen auf der Theorie, dass diese unsere Welt früher oder später ein Ende nehmen wird, die moderne Wissenschaft propagiert die gleiche Lehre.”
Die Erklärung für Tolstois drastische Attacken gegen Sinnlichkeit und Sexualität ist in der Literaturwissenschaft unumstritten: Der Dichter selbst kannte die Qualen sexueller Besessenheit nur allzu gut und konnte auch in hohem Alter seine Leidenschaften (trotz der eigenen moralischen Ansprüche) nicht unterdrücken. Maxim Gorki berichtet von einem Treffen mit Tolstoi, bei dem dieser unumwunden erklärte, dass “Keuschheit für ein gesundes Mädchen etwas Unnatürliches sei.”
Die zwiespältige Einstellung des Dichters führte zum moralistisch-puritanischen Ausbruch in der Kreutzersonate, die nicht nur die zeitgenössischen Leser vor viele Fragen stellte, sondern auch die langjährige Ehe Tolstois mit Sophia Andréjevna zutiefst belastete. Sie selbst war es, die von Zar Alexander III. die Druckerlaubnis der Erzählung, die die Zensur verweigert hatte, persönlich erbat. Gleichzeitig heißt es in ihrem Tagebuch: “In meinem Herzen fühlte ich, dass die Erzählung direkt gegen mich gerichtet war. Sie hat mich in den Augen der ganzen Welt verletzt und die letzten Reste von Liebe zwischen uns zerstört. Und das, obwohl ich in meiner ganzen Ehe kein Unrecht getan und nie nach einem anderen Mann Ausschau gehalten habe. Ob ich einen anderen Mann lieben könnte, ist eine andere Frage; eine Frage, die nur mich und niemanden sonst angeht. Und so lange ich rein bin, hat niemand auf der Welt das Recht, diese Frage zu erheben.”
Besetzung
Rezitation: Sebastian Koch
Violine & Klavier: N.N.