berger_senta_theatervorhang_600kb„Lasst uns Musik hör’n!“ – Der Herzog in der Komödie As You Like lt (Wie es euch gefällt) wünscht ein wenig Unterhaltung am gedeckten Tisch, aber bei Shakespeare spielt die Musik keineswegs nur eine auflockernde Nebenrolle. All die Lieder und Fanfaren, die Tänze und Serenaden in seinen Stücken schaffen Atmosphäre, charakterisieren Figuren und pointieren Situationen. Man darf annehmen, dass der Dichter die Musik überhaupt schätzte, diente sie doch seiner Sprachkunst als Reservoire für Bilder, Vergleiche und Pointen.

“Silbern süß tönt der Liebe Stimme nachts, wie leise Musik dem Ohr, das wartet . ..“ – So hört Romeo seine Julia rufen, und Shakespeare selbst apostrophiert seine geliebte «Dark Lady« in einem Sonett schlicht als «my music«. Der liebestolle Orsino in Twelfth Night or What You Will (Was ihr wollt) ist nicht ganz zufällig ebenfalls verrückt nach schönen Klängen: «Wenn die Musik der Liebe Nahrung ist, spielt weiter!« Was es auf Shakespeares Bühne tatsächlich zu hören gab, war allerdings eher mager: Die Lieder kamen meist ohne Begleitung aus, die Instrumentaleinlagen waren ohne kompositorischen Anspruch. Üppigere Bühnenmusiken entstanden erst nach 1670. Gefragt waren nun effektvolle, opernhafte Spektakel. Einen wahren Shakespeare-Boom brachte die Romantik. Felix Mendelssohn Bartholdys Ouvertüre Ein Sommernachtstraum war 1826 nur der Anfang.  In der Folge eroberten Hamlet, Macbeth, König Lear oder auch Romeo und Julia den Konzertsaal. Das romantische Orchester bot genau die richtige Klangbühne für Shakespeares Welt, die so reich ist an großen Gefühlen und starken Kontrasten, an Liebe und Hass, an Abgründigem und Übernatürlichem. «Lasst uns Musik hör‘n!« — im Rückblick klingt das wie ein Aufruf Shakespeares an die komponierende Nachwelt.

Als 1936 Paul Czinners Filmversion von As You Like lt in die Kinos kam, war nur das Beste gut genug: Die Filmmusik schrieb William Walton, damaliger Jungstar der britischen Musikszene, die Hauptrollen spielten Laurence Olivier und Elisabeth Bergner, eine prächtige Ausstattung untermalte den für die Gattung der Pastoralkomödie wichtigen Kontrast von Hof- und Landleben. Selbst Tiere wurden sorgfältig besetzt: Schwäne und Strauße für den Hof, Kühe und Schafe für das Land. Auch Waltons Musik illustriert diesen Gegensatz. Da prunkt der Hof mit pompösen Fanfaren, während sich die Landbewohner an schlichten Tänzchen erfreuen. Der Wald von Arden, in dem sich die amourösen Verwicklungen abspielen, schimmert in zauberischem Mondlicht; das allgegenwärtige Rufmotiv steht für Orlandos Liebe zu Rosalind. Und am Schluss wird natürlich geheiratet: Gelegenheit für einen monumentalen, historisierenden Hochzeitszug. Der Streifen ist leider in Schwarz-Weiß gedreht, aber Walton lieferte gleichsam einen Soundtrack in leuchtendem Technicolor.

In Shakespeares Othello führt die Liebe bekanntlich zu einem weit düstereren Ende. Und genau diese Schattenseite der Liebe, ihre bisweilen todbringende Macht, interessierte Antonin Dvorak. In seinem 1891/92 entstandenen Zyklus Natur Leben und Liebe, bestehend aus drei thematisch verknüpften Sätzen, war allerdings noch nicht vom eifersüchtigen Mohren die Rede. Erst nachträglich teilte Dvorak das Werk in drei einzelne Ouvertüren: In der Natur, Karneval und Othello. Dennoch ist der Bezug zu Shakespeares Tragödie so eng, dass der Komponist elf Handlungsmomente mit Bleistift in seine Partitur eintragen konnte, beginnend gegen Ende des lyrischen Seitensatzes: „Sie umarmen sich in seliger Wonne.“ Wenn am ersten dramatischen Höhepunkt das impulsive Triolenmotiv aus dem Othello-Hauptthema herausgeschleudert wird, steht zu lesen: »Eifersucht und Rachedurst reifen in ihm.« Gemordet wird in der Reprise zu einer dramatischen Verdichtung dieses Eifersuchtmotivs; dann erklingt noch einmal die Liebesmusik, und Othello „drückt einen letzten Kuss auf ihre Lippen“, bevor er sich – zu reichlich Beckenschlägen – selbst tötet. Bemerkenswert ist, dass auch das (leicht am Kuckuck-Intervall erkennbare) Naturmotiv an entscheidenden Stellen auftaucht, meist in dunklen Farben: zerstörerische Leidenschaft als untergründige Naturkraft!

Leidenschaftlich entflammt für Shakespeare war Hector Berlioz. Das lag auch an der Schauspielerin Harriet Smithson, die 1827 als Ophelia und Julia ganz Paris verzückte — und die er sechs Jahre später heiraten sollte. »Die Wirkung ihres dramatischen Genies auf meine Fantasie und mein Herz kann nur mit derjenigen verglichen werden, die der Dichter selbst auf mich ausübte.« Hamlet versetzte den 25-Jährigen in einen «krankhaften Zustand«, Romeo and Juliet erlebte er wie von Sinnen: eine Liebe, «die wie Lava brennt, die gebieterisch, unwiderstehlich, gewaltig und rein und schön wie eines Engels Lächeln ist«. Die Realität seiner Ehe war zwar eher trübe, 1839 aber beschwor Berlioz dieses Idealbild der Liebe noch einmal in einem kühn entworfenen Werk: Roméo et Juliette ist eine ‘Dramatische Symphonie’ mit Chor und Gesangssolisten. In der ‚Scène d’amour’ allerdings zog Berlioz die Unbestimmtheit des reinen Orchesterklangs einem Duett vor. Dennoch lässt sich der Szene auf dem Veroneser Balkon leicht folgen: Zu tiefen, gedämpften Streichern tritt Julia hinaus in die Nacht und bekennt ihre Liebe. Romeo offenbart sich in einem ungestümeren Abschnitt mit Cello-Rezitativ, und nun entfaltet sich, statt in Worten in melodischem und klanglichem Reichtum, das wohl berühmteste Liebesgeflüster der Weltliteratur.

«Pass auf, es ist Nacht; dies ganze Duett muss sotto voce gesprochen werden, aber mit dunkler Stimme, die Entsetzen einflößt.« So erklärte Giuseppe Verdi seinem Hauptdarsteller, wie in Macbeth zu singen sei: Ganz klar, hier geht es nicht um Liebe, sondern um Machtgier, Mord und finstere Pläne. Verdi wollte keinen Belcanto, sondern ein Drama im Geist des geschätzten Dichters. Und um das Abgründige der Geschichte szenisch greifbarer zu machen, gab er auch dem Chor eine Hauptrolle: „Die Hexen beherrschen das Drama, alles geht von ihnen aus. Sie bilden wirklich eine Persönlichkeit, und zwar von allerhöchster Bedeutung.“ Als Verdi die 1847 entstandene Oper 1865 für Paris einrichtete, bot das dort obligatorische Ballett eine gute Gelegenheit, die Bedeutung noch zu unterstreichen. Dabei ließ er die Hexen nicht nur um ihren Kessel tanzen, sondern baute auch eine Pantomime ein: Hekate, die Göttin der Nacht, erteilt den Hexen ihre Anweisungen. Fahles Dunkel — Solo-Cello, Bassklarinette und Fagott — umflort diese schaurige «Dark Lady«.

Ebenso wie Verdi und Berlioz beschäftigte sich auch Peter I. Tschaikowsky mehrfach mit Shakespeare. Der Anstoß zu Romeo und Julia — und damit zu seinem ersten wichtigen Werk — kam allerdings von dem Komponisten Milij Balakirew. Dieser hatte 1868 in Petersburg Berlioz kennen gelernt und war beeindruckt von dessen Roméo et Juliette. Tschaikowsky schlug er vor, sich auch einmal an diesem Stoff zu versuchen, und er lieferte seinem jüngeren Kollegen gleich mehrere Ideen. So empfahl Balakirew, das Stück «gleich mit einem wütenden Allegro mit Säbelhieben« zu beginnen. Tschaikowsky schaltete allerdings eine lange Einleitung vor, die mit einem Kirchenchoral ein sakrales Element ins Spiel bringt. Im schnellen Hauptteil werden dann tatsächlich die Klingen zwischen den verfeindeten Familien gekreuzt, während das herzerwärmende gesangliche Seitenthema die Liebe Romeos und Julias schildert. Tschaikowsky konzentrierte sich also auf den Grundkonflikt der Tragödie, den er eigenständig und fantasiereich entwickelte. Am Ende dieses packenden Dramas bleibt von dem Liebeslied nur mehr eine kurz aufleuchtende Vision, brutal abgeschnitten von den scharten Schlägen des Kampfmotivs. Der weltweite Siegeszug dieser ‘Fantasie-Ouvertüre‘ begann erst 1880 mit ihrer dritten Fassung. Balakirew, dem das Werk gewidmet ist, war schon 1869 zufrieden; vor allem Tschaikowskys Liebesthema gefiel ihm: «Ich spiele es sehr oft und möchte Sie dafür abküssen.«

Das Rätsel um Shakespeares Geliebte – Wer war sie wirklich, diese Dark Lady?

„Sie war eine außergewöhnlich schöne Frau: Schwarze Augen, schwarzes Haar, sehr grazil, groß und schlank, vielleicht etwas mager. Genau das Gegenteil unserer blassen, blonden Schönheiten …“ – So stellt sich die Romanautorin Anne Cuneo jene geheimnisvolle Dame vor, die in Shakespeares Sonetten ab Nummer 127 auftaucht. Tatsache ist, dass hier statt der engelsgleichen, tugendhaften und unerreichbaren Wesen, die bislang die Liebeslyrik bevölkerten, ein völlig neuer, irdischer, ja moderner Frauentyp auftritt.. Ungeklärt bleibt, ob es sich um eine fiktive Gestalt oder Shakespeares Geliebte handelt. Die zahlreichen Spekulationen um die wahre Identität dieser Dark Lady reichen von einer dunkelhäutigen Kurtisane über eine Wirtsgattin und einige Hofdamen Elizabeths I. bis hin zur Königin selbst. Mit erkennungsdienstlicher Gründlichkeit machte sich in neuerer Zeit die Anglistin Hildegard Hammerschmidt-Hummel auf Spurensuche. Gestützt auf ‚neues Beweismaterial’, das Gemälde The Persian Lady, identifizierte sie 1999 die Hofdame Elizabeth Wriothesley (geb. Vernon) als Shakespeares Geliebte. Und mit Hilfe des Bundeskriminalamtes glaubt sie beweisen zu können, dass der Dichter auch der Vater von deren Tochter Penelope Spencer (einer Vorfahrin von Lady Diana Spencer) sei. Wenn diese Thesen stimmen, wäre Shakespeare in ein haariges Dreiecksverhältnis und eine Skandalaffäre verwickelt gewesen – tatsächlich wie in einem Roman.

Aus den Sonetten zu Ehren der »Dark Lady«

Sonett Nr. 127 
Die alte Zeit sah Schwarz für schön nicht an,
Und wenn, so trug‘s doch nicht der Schönheit Nam‘.
Doch nun tritt Schwarz der Schönheit Erbe an,
Und Schönheit wird entehrt durch Bastardscham:
Seit jede Hand vorgibt, Natur zu sein,
Mit Fälscherkunst gemeine Mienen färbt,
Büßt‘ süße Schönheit Nam‘ und Tempel ein,
Ist ausgestoßen oder lebt enterbt.
Drum ist so rabenschwarz der Herrin Haar,
Ihr Auge auch, von Trauer, scheint‘s, verzehrt,
Weil, wer unschön gebor‘n, nicht schönheitsbar
Die Schöpfung mit gefälschtem Schein entehrt.
Trauern sie so, steht ihnen so ihr Leid,
Dass jeder Mund sagt, dies sei Schönheitskleid.
(Ubers.: Wolf-Dietrich Keil)

Sonett Nr. 128 
Wie oft, wann du, Musik mir, musizierest,
Wann unter lieben Fingern hochbeglückt
Das Holz sich regt und tönt, und du regierest
Der Saiten Wohllaut, der mein Ohr berückt;
Wie oft beneid‘ ich dann die flinken Tasten!
Wie springen sie und küssen dir die Hand,
Ach, meine Lippen steh‘n dabei und fasten,
Ob solcher Keckheit schamrot, festgebannt.
Um solches Streicheln tauschten sie getrost
Rang, Los und Stand mit jener Tänzersippe;

Denn seliger, von Fingern so liebkost,
Ist totes Holz als die lebend‘ge Lippe.
Wenn kleine Klötzchen denn so schwelgen müssen,
Lass‘ sie die Finger, mich die Lippen küssen.
(Ubers.: Otto Gildemeister)

Sonett Nr. 144 
Zwei Lieben hab‘ ich, Lust und Todespein,
Die wie zwei Geister üben ihre Macht.
Der bess‘re ist ein Mann, in Schönheit rein,
Ein Weib der böse, dunkel wie die Nacht.
Das Unglücksweib bereitet mich zur eil‘gen
Verdammnis, drum entführt sie mir den guten;
Sie wandelt mir zum Teufel meinen Heil‘gen,
Sein Herz umbuhlend mit verruchten Gluten.
Ob er verwandelt, ob er rein geblieben,
Vermuten kann ich‘s, aber nicht bestimmen;
Doch weil die zwei mich und einander lieben,
Wird einer in des andern Hölle glimmen.
Allein mein Zweifel wird sich nimmer lösen,
Bis einst mein Engel flieht, versengt vom Bösen.
(Übers.: Eduard Saenger)

Sonett zu dem Gemälde The Persian Lady 
(Shakespeare zugeschrieben)
So rastlos wie die Schwalbe, so rastlos ist mein Hirn,
Des Unrechts mich erinnernd, beleb‘ ich es aufs Neu‘;
Ihre gerechten Klagen von arger Grausamkeit
Sind jene schönen Töne, die Leben mir verleih‘n.
Den weinenden Hirsch bekränz‘ ich mit nachdenklichem Sinn,
Die Tränen seiner Trauer sind Ausdruck meiner Sorg‘,
Doch seine stillen Tränen und mein verborgen Seufzen
Die ganze Medizin sind, die meine Wunden heilt.
Der Baum — gepflanzt in Liebe,
Umhegt mit großer Müh‘ — er war mein einzig‘ Hoffen.
Doch alles war vergeblich, denn jetzt — zu spät — ich seh‘:
Die Früchte ernten andre, die Schalen nur sind mein.
Musik sei meine Klage, ihr Tränen Medizin,
Wenn dies die ganze Frucht ist, die mein Liebesbaume trägt.
(Übersetzung: Hildegard Hammerschmidt-Hummel)

Rezitation:     Senta Berger

Musik:           Nürnberger Symphoniker (Ltg. Alexander Shelley)  / Lautten Compagney Berlin /

 

WITH SHAKESPEARE IN LOVE