Liebe, solange Du lieben kannst …

Meist übertreffen unsere Fiktionen die Wirklichkeit, sind die Mythen und Sagen farbiger; sie fürchten keinen Tod….

Giacomo Casanova steht für das Gegenteil: 1725 als Sohn eines venezianischen Schauspielerpaares geboren, im zarten Alter von 17 mit dem Doktorhut der Juresprudenz geehrt, zur Priesterweihe bestimmt – eine Laufbahn, die er recht bald mit der schneidige Uniform des Fähnrichs in weltliche Regionen umlenkte – wurde schon zu Lebzeiten zum sprichwörtlichen Pendant des ewigen Don Juan.

Doch wo der spanische Mythos kalter Verführer bleibt, durchlebt Casanova die ganze Tonleiter der Emotionen. Hätte er nicht gelebt, dieser Abenteurer und Weltenbummler, dieser einfühlsame Weiberheld, dieser charmante Spötter der Moral – man hätte ihn erfinden müssen. Wo der Spanier wesenlos und daher unbesiegbar bleibt, weiß Casanova um das Leid der Liebe und um den Dienst an der Liebe. Er sammelt keine erotischen Triumphe; die Geliebte ist stets der Mittelpunkt seiner Verführungskunst – ob für eine zarte Stunde, ob für glückliche Monate – ob Dienstmagd oder Edeldame.

Eitel und selbstverliebt mag man ihn schimpfen, einen Schmarotzer und Spieler – doch was er dem Leben (und den Frauen) abgewann, das gab er großzügig zurück.

„Man begreift nur, was man in sich selbst erfährt“ – die Liebeskunst und Lebensweisheit des charismatischen Egozentrikers speiste sich nicht zuletzt aus solcher Empathie. Giacomo Casanova – von Benedikt XIV. zum ‚Ritter des goldenen Sporns’ ernannt, von sich selbst zum ‚Chevalier de Seingalt’ geadelt – auf seine diversen Amouren oder Bravourstücke wie seine sagenumwobene Flucht aus den Bleikammern Venedigs zu reduzieren, wäre zu billig. Dass seine Zeitgenossen sich an diesem Freigeist rieben und die nie zum Glück gezwungene Damenwelt ihm zumindest im Herzen treu blieb, wäre auch dann noch verständlich. Doch kaum hätten sich nachgeborene Geister wie Heinrich Heine, Theodor Mundt, Hogo von Hofmannsthal, Arthur Schnitzler, Rainer Maria Rilke, Hermann Hesse, Frederico Fellini, Luis Bunuel u.v.m. mit diesem Epigonen des Ancien Regime auseinandergesetzt. Manche mit Bedacht, ja Bewunderung, andere in kritischer Häme, doch gleichgültig ließ Casanova keine(n). Ist es da so wichtig, ob seine Memoiren stets die Wahrheit sagen oder diese oftmals viel tiefer im Selbstbetrug aufschimmert?

Vielleicht hat Casanova Mozart tatsächlich gekannt, vielleicht über die langjährige Bekanntschaft mit dem Librettisten da Ponte den Bühnenworten Don Juans Menschlichkeit eingehaucht? Unsere Phantasie hat er auf jeden Fall zum Vergleich bewegt: In Don Juan lebt ein Stück zeitloser archaischer Männlichkeit, Casanovas Existenz, seine Verfangenheit in der alten, vorrevolutionären Welt und seine Einsicht in den Beginn einer neuen Zeit, sind gelebte Auseinandersetzung mit dem Bild des großen Verführers. Casanova hat gelebt. Er ist angreifbar und deshalb berührt er uns – Frauen wie Männer.

Idee & Konzept carpe artem

MEMOIREN DES GIACOMO CASANOVA