Am 3. Januar 1890 wurde Tschaikowskys Ballett »Dornröschen« am St. Petersburger Mariinski-Theater in einer Choreografie von Marius Petipa uraufgeführt: Mit ihm bestätigte sich einmal mehr ein Satz von Johann Wolfgang von Goethe:

„Kunst ist eine Vermittlerin des Unaussprechlichen …“

Dornröschen zählt nicht nur zu den in der Tat ‚märchenhaften’ Ballettinszenierungen der künstlerisch großen zaristischen Ära, es gehört noch heute zum internationalen Standardrepertoire, vor allem dank Tschaikowskys wunderbarer Melodien. »Ich habe das Gefühl, die Musik zu diesem Ballett wird eines meiner besten Werke«, schrieb der Komponist am 22. Juli 1889 an seine Freundin Nadeschda von Meck, »die Handlung ist so poetisch und eignet sich so gut zu musikalischer Gestaltung, dass sie mich ganz gefangen nahm, und ich mit der Wärme und Zuneigung schrieb, die sich in der Musik spiegelt.«

Ballett und Märchen – in dieser Paarung ist der sehnsuchtsvolle Atem der Romantik unvergänglich geworden.  Die ‚sprachlose’ Erzählung der alten Märchen entführt den Zuschauer aus seiner engen Welt in eine Sphäre der Schwerelosigkeit und Schönheit. Und lange Zeit war eben dies die hervorragende Aufgabe des Bühnentanzes. Im ausgehenden 19. Jahrhundert erfüllten vor allem die russischen Ballettkompanien diese Erwartungen mit prunkvollen Bühnenbildern und prächtigen Kostümen. Effektvolle Gruppentänze überboten sich mit unzähligen solistischen Bravourstücken der über 150-köpfigen Ensembles. Einen Höhepunkt der Tradition großer Ballette bildete schon damals »Dornröschen«. Das Libretto und die Originalchoreographie von Marius Petipa lehnen sich an Charles Perraults Urfassung des später (wie einige andere Geschichten von Perraults) von den Gebrüder Grimm adaptierten Märchens an. In der Absicht, ein effektvolles Ballett zu schaffen, trug Petipa der damaligen Vorliebe des Publikums für variantenreiche Tanzformen und solistische Höchstleistungen Rechnung. Er stockte das eigentliche Personal des Märchens »Dornröschen« auf und erweitert es sogar um Figuren aus anderen Märchen – eine Vorgehensweise, die später in Shows und Revuen gang und gäbe wird. Die massenwirksame Opulenz und die Vielzahl der Divertissements drängen allerdings das eigentliche Geschehen in den Hintergrund. Wenn Petipa sein Ballett sehr bewusst in einer Apotheose enden ließ, huldigte er damit nicht zuletzt dem russischen Zaren.

Doch was wäre die Kunst – und ihre Schöpfer wie Epigonen – ohne das höfische Mäzenatentum: Seit Mitte der 1950er Jahre ist das klassische Handlungsballett der russischen Tradition auch auf westeuropäischen Bühnen heimisch geworden und bildet – in letzter Zeit sogar wieder mit zunehmender Hinwendung – den Gegenpol zum modernen Tanztheater. Namhafte Choreografen, ebenso Bühnenbildner wagten sich an moderne Interpretationen des klassischen und neoklassischen Genres –  doch verlangt das klassische Handlungstheater letztlich nach traditionellen Tanzformen und mimischen Rollen, um die atmosphärisch dichten und inhaltlich oftmals verzweigten Märchen-Vorgaben inhaltlich zu transportieren.  Gerade die Tschaikowsky-Trilogie: Schwanensee – Dornröschen – Der Nussknacker beweist immer wieder, dass das große Handlungsballett das publikumswirksamste Aushängeschild im Tanztheater ist.

Dornröschen ist ein abwechslungsreiches und bildstarkes Ballett. Allerdings ist klar, dass eine kleine Kompanie wie Ballett Classique nicht ohne Einschnitte ein Werk stemmen kann, für das in der Uraufführung im Mariinski-Theater 1890 insgesamt 155 Tänzer verpflichtet waren. So hat Rosina Pop-Kovács einen Weg gefunden, das Libretto von Iwan Wsewoloschky auf ihre Kompanie zurechtzuschneiden und dem Publikum eine Version zu präsentieren, die durchaus märchenhaft ist

Choreografie:     Rosina Pop-Kovacs nach Marius Petipa

Es tanzen:          Solisten des Bayerischen Staatsballetts

Lichtdesign:       Uwe Niesig

DORNRÖSCHEN – Ballett in zwei Akten